Diversität ist in aller Munde. Nicht nur als Trend, auch als praktische, gewinnwirksame Maßnahme. Es ist mittlerweile klar, dass diverse Teams besser in der Lage sind, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren, dass sie die Vielfalt der Kund:innenbedürfnisse besser abdecken, mehr Innovation hervorbringen und mannigfaltige Lösungsansätze produzieren.
So schön, so gut. Klar ist auch, dass Diversitätsvorhaben über die alleinige Repräsentanz hinausgehen müssen. Nach den bekannten Kerndimensionen von Diversität aufgestellte Teams sind eine großartige Ausgangssituation. Und ich bin mir bewusst, dass bereits hier in sehr vielen Bereichen Aufholbedarf besteht. Doch mit der reinen Auswahl und Zusammensetzung von Teams – und auch Führungspersönlichkeiten – wird sich der viel beschworene Mehrwert der Vielfalt nicht von alleine entfalten. Es gilt, etwas tiefer zu gehen. Das knowing-doing gap zu schließen, tiefsitzende unbewusste Biases bewusst zu machen und echte Inklusion zu ermöglichen. Was braucht es daher noch? Wo liegt der Schlüssel, um von Diversitätskampagnen zu einem unspektakulären inklusiven Berufsalltag zu gelangen – und damit in eine Arbeitswelt, die es jedem Menschen ermöglicht, das individuelle Potential zu entfalten und sinnvoll einzusetzen?
Natürlich kann diese vielschichtige Frage, die sich über Strukturen, Prozesse, Programme, Kultur, (Führungs-)Haltung, Zeit uvm. erstreckt, nicht mit einer einfachen Antwort abgespeist werden. Ich fokussiere mich daher auf Teams: Meines Erachtens schließt sich hier ein Kreis mit den Voraussetzungen für gute Teamarbeit: Google erforschte beispielsweise in seinem Projekt Aristoteles anhand von 180 Teams, die Komponenten für Teamerfolg. Das letztlich Ausschlaggebende waren weder die Zusammensetzung, berufliche Hintergründe, Führungsstile oder Hierarchien, sondern die Art, wie Teammitglieder miteinander umgingen: Respektvoll und mit der Möglichkeit für jede Person, zu Wort zu kommen.
So einfach dies klingen mag, so wissen die meisten auch, dass das in der Realität gar nicht so leicht sein kann. Haben wir es doch mit komplexen sozialen Systemen, Gruppendynamiken und: einem hohen Maß an Diversität zu tun. Wie kann es also gelingen, trotz all der Unterschiede einen aufgeschlossenen und respektvollen Umgang – jenseits der Oberflächlichkeit – zu kultivieren?
In meinem Konferenzbeitrag "Diversity beyond Separation - An experimental Approach on the Edge of Human Condition" auf dem ivr world congress "Justice, Community and Freedom" von 4.-8.7-2022 in Bukarest, habe ich den Vorschlag gemacht, „bedingungsfreie Räume“ auch im Bereich der Diversität zu nutzen. Doch zuerst: Was kann ich mir unter „bedingungsfreien Räumen“ vorstellen?
Bedingungsfreie Räume sind Räume im übertragenen Sinn. Sie stehen für einen Zustand, in dem Bewertungen in den Hintergrund treten. Sie verkörpern eine Haltung, die über die kontinuierliche Auf-, Ab- bzw. Bewertung der Umwelt hinaus geht. (Gar nicht so einfach in unserer heutigen von Likes geprägten (Medien)Welt 😉) Die Beschreibung als bedingungsfreie „Räume“ gibt ihnen eine Verortung im persönlichen Erleben und im konkreten Verhalten. Bedingungsfreie Räume können im Inneren eines Menschen kultiviert werden (= inner work). Und sie können in der äußeren Welt Ausdruck finden (= z.B. in einem entsprechenden Workshopdesign). Diese Verbindung der inneren mit der äußeren Welt macht sie zu Räumen der Transformation. Bedingungsfreie Räume stillen die menschliche Sehnsucht nach Akzeptanz, Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Dem bedingungsfreien, existentiellen Dasein in der Welt - jenseits von Zuschreibungen, Kategorien oder Unterschieden.
Vielleicht hat Sie dieser kurze Exkurs neugierig gemacht? Sie finden Auszüge meiner Beiträge auf meiner Homepage unter Forschung und Lehre, da dieser Zugang im Rahmen der Peace Studies entstanden ist oder auch auf der Seite Unconditional Spaces, welche sich seit 2013 diesem Ansatz widmet. Oder nehmen Sie gerne direkt Kontakt mit mir auf. Ich freue mich über Austausch, Gespräche und Feedback!
Doch nun zurück zur "Diversität jenseits von Unterschieden":
Bedingungsfreie Räume können uns dabei unterstützen, unser Gegenüber ein Stück weit bewertungsfreier zu betrachten. Eine offene und wertschätzende Haltung einzunehmen und das Verbindende unter den Menschen in den Vordergrund treten zu lassen. Sie gehen über die anerkannten Unterschiede hinaus und ermöglichen gelebte Gleichwertigkeit. Wir stehen wohl erst am Beginn...
Doch gerade in Zeiten massiver Polarisierung und Trennung werden wir Ansätze und Räume benötigen, die das Gemeinschaftliche, den wechselseitigen Respekt, Achtung und Würde wieder in den Mittelpunkt stellen. Denn in einer Welt, in der wir gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch zutiefst miteinander verbunden sind, können wir uns nicht aus der Verantwortung nehmen. Der Zugang über Teamzusammenarbeit, new Leadership und Diversität stellen wirkungsvolle Hebel dar, um neben Produktivität und Erfolg auch das Menschliche und Verbindende zu fördern. Zusammen machen sie uns schlussendlich aus.
Ihre Birgit Allerstorfer
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